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Die Telekommunikation im SPIEGEL – Teil 1 khd
Stand:  22.2.2001   (48. Ed.)  –  File: Spiegel/01.html *




Dokumentiert sind hier in Auszügen oder als Links zum SPIEGEL-Archiv einige ausgewählte und in einer Zusammenstellung besonders interessante Artikel aus dem SPIEGEL. Tippfehler gehen zu meinen Lasten. Presseberichte zu den Pannen der Telekom sind auf den Seiten "Neue Telekom- Ungereimtheiten" zu finden.

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  • Neuere SPIEGEL-Berichte   (2. Teil).
  • 01.04.1996: Telekom: Sternstunde für die Börse.
  • 04.03.1996: Telekom: Verwirrendes Angebot.
  • 26.02.1996: Telekom: Spartarife ab Ende 1996.
  • 19.02.1996: Telekom: Allianz mit Spielberg.
  • 12.02.1996: Telekom: Süssmuth will einlenken.
  • 08.01.1996: Telekom-Chef Ron Sommer über Tarif-Chaos und Börsengang. (Interview)
  • 08.01.1996: Post m.o.d.e.r.n – Der Drahtseilakt der Telekom.
  • 10.07.1995: SPIEGEL-Gespräch mit Telekom-Chef Ron Sommer.
  • 06.03.1995: Telekom: Milliarden-Verlust.
  • 17.01.1994: Fatale Folgen. (Streit um die Fernsprechtarife)
  • 00.09.1993: Postreform: Angriff auf das Monopol.



    Postreform: Angriff auf das Monopol

    Allzu forsche Liberalisierungspläne des Postministeriums haben den Streit um die Privatisierung der Telekom neu entfacht. Doch die Zeit drängt, als Staatsbetrieb hat die Telekom gegen die ausländische Konkurrenz keine Chance. Schon jetzt [Ed: September 1993!] sorgen private Konkurrenten für schmerzhafte Einnahmeausfälle bei der Telekom.

    Auszug aus: Der Spiegel – 39/1993, September 1993, Seite 114–116.

    (...) Die Telekom ist auf die Privatisierung dringend angewiesen. Ein Scheitern der Reform wäre für die gesamte deutsche Industrie verheerend: Die Deutschen würden sich von einem der wichtigsten Zukunftsmärkte, der Telekommunikation, verabschieden.

    Spätestens im Jahre 1998, so hat es die EG-Kommission festgelegt, sollen in Europa die alten Fernsprechmonopole der nationalen Postverwaltungen wegfallen. Dann können private Telefonfirmen den Fernmeldebehörden wirklich Konkurrenz machen. Und Deutschland mit seinen 35 Millionen Telefonanschlüssen wird zu einem der Hauptkampffelder für Kommunikationsmultis wie AT&T, US Sprint oder British Telecom (BT).

    Daß die behäbige Telekom in ihrer jetzigen Verfassung nicht fit ist für den Wettbeweb mit den Riesen der Kommunikationsindustrie, gilt unter Kennern als sicher. Die Gebühren sind zu hoch, der Service ist schlecht, die Produktivität der 230 000 Mitarbeiter, davon die Hälfte unkündbare Beamte, zu gering. Mindestens 20 000 Stellen müssen in den nächsten Jahren – ohne Entlassungen – gestrichen werden.

    Viel zu niedrig ist auch das Eigenkapital des Staatsunternehmens. Die Schulden der Telekom sind, unter anderem wegen der gewaltigen Investitionen für den Aufbau im Osten, inzwischen auf mehr als 100 Milliarden Mark geklettert. Allein die Zinsen verschlingen jährlich mehr als 6 Milliarden Mark.

    Aber immer noch greift der Finanzminister der Telekom ungeniert in die Kasse. Unabhängig von der Ertragslage muß sie zehn Prozent ihres Umsatzes an den Bund weiterreichen.

    Allein im vergangenen Jahr [Ed: 1992] flossen so gut fünf Milliarden Mark in den Staatshaushalt, das entspricht einer Steuerlast von 75 Prozent. Daneben muß das Bonner Unternehmen die Defizite von Postdienst und Postbank in Höhe von 1,5 Milliarden Mark ausgleichen. (...)

    Zwar sorgen staatlich festgelegte Mondpreise dafür, daß die Telekom vorerst nicht in eine bedrohliche finanzielle Schieflage gerät. Aber die hohen Tarife für Fern- und Auslandsgespräche sind die einzig wirklich lukrative Einnahmequelle der Telekom. Und spätestens 1995 sollen die Tarife gesenkt werden.

    Viele andere Bereiche, beispielsweise der Service Bildschirmtext (Datex-J) [Ed: heute T-Online] oder das neue Mobilfunknetz D1, sind defizitär. Allein bei den TV-Kabelanschlüssen setzt die Telekom jährlich 1,5 Milliarden Mark zu; die Telefonauskunft subventioniert sie mit rund einer halben Milliarde Mark, und die öffentlichen Telefonhäuschen kosten sie jährlich fast 400 Millionen Mark. (...)



    Fatale Folgen

    Telekom-Chef Helmut Ricke über den Streit um die Fernsprechtarife

    Aus:
    Der Spiegel – 3/1994, 17. Januar 1994, Seite 69 (Wirtschaft).

    SPIEGEL: Postminister Bötsch hat das von der Telekom vorgelegte Konzept zur künftigen Tarifstruktur abgelehnt. Werden Sie nachbessern?

    Ricke: Nein. Der Telekom-Vorstand hält an seinem Konzept fest.

    SPIEGEL: Wo liegt für Sie der Knackpunkt im Streit mit dem Minister?

    Ricke: Unser Plan sieht für 1996 eine Preissenkung von 13 Prozent vor. Dies erreichen wir, indem wir die Mehrwertsteuer, die auch die Telekom ab 1996 auf alle Telefon-Dienstleistungen erheben muß, nicht weitergeben.

    SPIEGEL: Der Verzicht auf eine Preiserhöhung ist doch keine Preissenkung.

    Ricke: Der Privatkunde merkt davon in der Tat zunächst wenig; aber für gewerbliche Kunden reduziert sich die Rechnung um den Betrag der Mehrwertsteuer. Wir rechnen dadurch mit Umsatzeinbußen von insgesamt 6,5 Milliarden Mark.

    SPIEGEL: Dem Minister reicht das nicht. Er will die Telekom dazu bringen, generell die Tarife um weitere fünf Prozent zu senken. Warum sperren Sie sich dagegen?

    Ricke: Wir sperren uns nicht gegen weitere Tarifsenkungen. Unsere Pläne sehen Preisnachlässe für 1997 und 1998 vor, ohne daß wir sie jetzt schon konkretisieren wollen.

    SPIEGEL: Warum nicht schon 1996?

    Ricke: Die vom Minister geforderte Senkung würde die Einnahmen um weitere 2,5 Milliarden Mark reduzieren. Zusammen mit der Mehrwertsteuer müßten wir dann 1996 auf Einnahmen von 9 Milliarden Mark verzichten. Dies würde das Unternehmen ausgerechnet in dem Jahr, in dem wir an die Börse wollen, tief in die roten Zahlen treiben.

    SPIEGEL: Der Postminister bezweifelt offensichtlich Ihre Zahlen?

    Ricke: Unsere Zahlen beruhen auf dem mittelfristigen Wirtschaftsplan. Das Zahlenwerk des Telekom-Vorstands wurde 1993 ausgiebig vom Aufsichtsrat überprüft und für gut befunden. Auch dem Minister haben wir den Plan ausführlich erläutert. Wer jetzt behauptet, unsere Zahlen seien unrichtig, der unterstellt dem Vorstand und auch dem Aufsichtsrat, vorsichtig ausgedrückt, sehr unprofessionelles Verhalten.

    [Ed-9.11.1997: und so war es, wie wir nun 1997 wissen. Zwar mußte Telekom-Chef Ricke noch 1994 und Aufsichtsrats-Chef Leister dann 1996 gehen, aber dennoch erhielten Telekom- Zahlenwerke nie die höheren Weihen. Sie blieben schlichtweg nicht nachprüfbar, wie 1997 der Streit um die Interconnection-Tarife aufzeigte, was dann im November 1997 auch zur Klage der Europäischen Union gegen Bonn führte].

    SPIEGEL: Der Minister sagt, die Telekom habe ihre Planzahlen revidiert und überraschende Kostensteigerungen ausgewiesen.

    Ricke: Ich weiß nicht, was er meint. Es gibt keine Überraschungen in unserem Zahlenwerk. Die Ansätze im Tarifkonzept sind identisch mit denen im Mittelfrist- Plan und im Wirtschaftsplan 1994.

    SPIEGEL: Haben Sie alle Möglichkeiten zur Kostensenkung ausgereizt?

    Ricke: Wir haben alle denkbaren Möglichkeiten zur Kosteneinsparung identifiziert und in unserem Mittefrist-Plan aufgelistet. Diejenigen, die im Rahmen der jetzigen Unternehmensform realisierbar sind, haben wir schon auf den Weg gebracht.

    SPIEGEL: Postminister Bötsch sieht aber offensichtlich noch weiteren Spielraum für Kostensenkungen.

    Ricke: Man darf nicht übersehen, daß die Personal- und Kapitalkosten fast 80 Prozent unserer Gesamtkosten ausmachen. Weitere Einsparungen wären noch bei den Investitionen möglich. Die Folgen wären aber nicht nur für die Telekom fatal, sondern auch für unsere Zulieferer in der deutschen Industrie.

    SPIEGEL: Werden Sie kündigen, wenn sich der Minister durchsetzt?

    Ricke: Ich gehe davon aus, daß der Infrastrukturrat [Ed: Vorgänger des Regulierungsrates], den der Minister jetzt eingeschaltet hat, unsere Argumente einsieht und uns nicht zu unternehmerisch völlig unverantwortlichem Handeln zwingt.

    [Ed-9.11.1997: und wie es dann im Infrastrukturrat weiterging berichtete am 17. Januar 1996 im Ausschuß für Post und Telekommunikation des Deutschen Bundestages dessen Vorsitzender Arne Börnsen (SPD), der ab 1998 Vizepräsident der neuen Super- Regulierungsbehörde wird (zitiert aus dem Wortprotokoll):

    "Das Thema der neuen Tarifstruktur für die Deutsche Telekom beschäftigt den Postauschuß heute nicht zum erstenmal. Er hat sich mit der geplanten Änderung der Telefontarife bereits im April und im November 1993 auseinandergesetzt und sich in der Sitzung am 19. Januar 1994 in einer erweiterten Form und in großem Umfang mit der möglichen neuen Tarifstruktur befaßt, damals allerdings lediglich mit der Tatsache, daß vom Bundesministerium für Post und Telekommunikation der (ursprüngliche) Antrag der Telekom auf einen neuen Tarif abgelehnt wurde.

    Es wurden also nicht die inhaltlichen Details diskutiert. Ich darf deswegen darauf hinweisen, daß die Genehmigung der Tarife dem Bundesminister für Post und Telekommunikation im Benehmen mit dem Bundesminister der Wirtschaft obliegt. Außerdem hatte sich der Infrastrukturrat (Vorgänger des heutigen Regulierungsrates) auf seiner Sitzung am 4. Februar 1994 mit dem Thema befassen sollen.

    Auf Grund der Tatsache aber, daß am selben Morgen zwischen dem Minister und dem Vorsitzenden der Telekom eine Vereinbarung über das künftige Tarifstrukturkonzept gefunden wurde, war die Beteiligung des Infrastrukturrates hinfällig, und er hat lediglich einige abschließende Bemerkungen dazu gemacht, sich aber nicht mit dem Tarifkonzept auseinandergesetzt."

    Alles klar?! Und so konnte es auch geschehen, daß die kommerzielle Notwendigkeit der frühen Einführung eines preisgünstigen Internet- Telefontarifs vertan wurde. Keine der handelnden Figuren hatte dazu weder die nötige Medien- und Computer- Kompetenz noch den innovativen Weitblick. Und das hat nun wirklich fatale Folgen für die Volkswirtschaft in Deutschland].



    Telekom: Milliarden-Verlust

    Auszug aus:
    Der Spiegel – 10/1995, 6. März 1995, Seite 111.

    Fünf Jahre nachdem die Deutsche Telekom ihr Monopol beim Verkauf von Telefongeräten und Zubehör verlor, macht sie in diesem Geschäft noch gewaltige Verluste. Bei einem Jahresumsatz mit Endgeräten von rund 2,5 Milliarden Mark bleibt ein Minus von gigantischen 1,3 Milliarden Mark. Die Ursache für das "katastrophale Betriebsergebnis", stellt der Bundesrechnungshof fest, sind "schwerwiegende Koordinationsmängel" zwischen Produkt- und Vertriebsmanagern. (...)



    »Mir fallen tausend Dinge ein«

    Telekom-Chef Ron Sommer über die Chancen seines Unternehmens im weltweiten Wettbewerb

    Auszug aus:
    Der Spiegel – 28/1995, 10. Juli 1995, Seite 86–88.

    (...)

    SPIEGEL: Die hohen Gebühren des Noch-Monopolisten Telekom sind ein Ärgernis. Was werden Sie da tun?

    Sommer: Dieses falsche Pauschalurteil wird auch durch häufiges Wiederholen nicht richtiger. Und trotzdem werden wir die Preise weiter senken. Bei Gesprächen in die USA und die neuen EU-Länder schon zum 1. August [Ed: 1995], zum Teil um 30 Prozent. Und in zukunftsorientierten Bereichen wie etwa ISDN stehen wir im internationalen Bereich schon heute sehr gut da. (...)

    SPIEGEL: Aber Sie sind angetreten, die Telekom kundenfreundlicher zu machen. Nun dringt aufgrund von Indiskretionen der Telekom eine deftige Gebührenerhöhung nach draußen. Ist das besonders klug?

    Sommer: Es ist vor allem nicht gut, daß Dinge, die intern noch nicht ausgereift sind, nach draußen dringen. Wir haben ja schon auf der Bilanzpressekonferenz gesagt [Ed: die war am 8. Juni 1995]: Es wird zu Preiserhöhungen kommen. Aber zunächst wollen wir darüber nachdenken, wie wir die Leistung für den Kunden verbessern können. Wir haben in der Auskunft heute 8000 Mitarbeiter, die könnten doch tolle Dienstleistungen anbieten. (...)

    SPIEGEL: Die Digitalisierung zählt zu Ihren Schwachstellen.

    Sommer: Nennen Sie mir ein Land, wo der Qualitätsstandard des Telefonierens besser ist als in Deutschland [Ed: USA!]. Trotzdem treiben wir den Digitalisierungsprozeß intensiv voran, Ende 1997 wird er abgeschlossen sein. Das ist zwei Jahre früher, als ursprünglich geplant [Ed: ursprünglich war 2018 geplant!].

    SPIEGEL: Wo sehen Sie noch Defizite?

    Sommer: Nicht in der Technik [Ed: und was ist mit der wegweisenden ADSL- Technik?] [Ed-21.9.1997: Na, auch dieser Hinweis von 1995 hat wohl doch genutzt!]. Ansonsten fallen mir noch tausend Dinge ein, die wir tun können. Wir können die Produktpalette deutlich erweitern und unsere enorme Forschungs- und Entwicklungskapazität besser nutzen. Wir haben ein gutes Distributionsnetz mit 354 Läden. Wir können in den Versand einsteigen. Vor allem müssen wir die Kommunikation mit den Kunden verbessern. Wann wurden Sie von der Telekom gefragt, wie Ihre Anlage zu Hause erweitert werden könnte?

    SPIEGEL: Darauf können die meisten wohl verzichten. Viel lieber wäre ihnen, wenn sie nicht so unfreundlich abgefertigt würden, wenn sie sich etwa wegen einer ungewöhnlich hohen Telefonrechnung beschweren wollen.

    Sommer: Wir versenden pro Monat 40 Millionen Rechnungen, mehr als 99,8 Prozent davon werden nicht reklamiert. Wenn Sie uns mit anderen Dienstleistungsunternehmen vergleichen, liegen wir gar nicht schlecht.

    SPIEGEL: Das Problem ist, wie mit den Beschwerdeführeren umgegangen wird.

    Sommer: Richtig, da haben wir noch viel zu tun. Aber das ist ein generelles Problem der deutschen Wirtschaft: Die meisten Unternehmen müssen noch lernen, wie man mit seinen Kunden umgehen muß. Es ist eine der Aufgaben der Telekom, hier eine Vorreiterrolle zu spielen. Wir wollen diese Dinge schneller angehen als andere. (...)



    Post m.o.d.e.r.n – Der Drahtseilakt der Telekom

    Wunderkind als Watschenmann

    DER SPIEGEL -- 2/1996 Telekom aus dem Takt: Eine Softwarepanne und der neue Telefontarif stürzten die Firma, die als ein Schlüssel zur Wirtschaftszukunft gilt, in die Krise. 1996 wird nun zum Schicksalsjahr des Kommunikationskonzerns, der im November an die Börse geht. Millionen von Kleinaktionären sollen Telekom, wie einst VW, in Volksbesitz nehmen. Es wird die größte Privatisierungsaktion der deutschen Geschichte – oder ein Riesenflop.

    Aus: Der Spiegel – 2/1996, 8. Januar 1996, Seite 22–31 (Titel). Mit 12 Fotos und 4 Grafiken. Zwischentitel und Links wurden hier redaktionell hinzugefügt.

    Ron Sommer war bestens gelaunt: Gott sei Dank, schwärmte er, sei der Wandel von der Behörde zum marktwirtschaftlich agierenden Unternehmen vollzogen: „Wir können auf dem eingeschlagenen Weg fortfahren.“ Das Unternehmen müsse nur seine „bekannten Vorzüge noch effektiver ausspielen“. Für die Telekom zu arbeiten, bekannte der erst 46-jährige Spitzenmanager im Plauderton, sei ihm „ein besonderes Vergnügen“.

    Der Neujahrsflop

    Das Vergnügen des Ron Sommer, bei der Amtseinführung im Frühjahr 1995 demonstrativ zur Schau gestellt, endete jäh. Am Abend des Neujahrstages geriet der Telefonmann außer Takt. Per Handy ereilte ihn die böse Botschaft von der Telefon-Wut, die in Deutschland Politiker und Bürger gepackt hatte. „Herr Sommer, ein frohes neues Jahr wünsche ich Ihnen – aber es fängt nicht gut an“, meldete ein zerknirschter Pressechef Jürgen Kindervater ins österreichische Vorarlberg, Sommers Winterdomizil.

    Eine Panne im Softwareprogramm [Ed: des Lieferanten Alcatel SEL], das den Neujahrstag zum teuren Werktarif abrechnete, trieb den Puls der Deutschen in die Höhe. Die zum 1. Januar gestartete Tarifreform, die das Ortsgespräch für viele verteuert [Ed: und damit das Internet für die meisten unerschwinglich macht] und das Ferntelefonat meist billiger macht, heizte die Stimmung weiter an.

    Zehntausende meldeten sich in der vergangenen Woche bei der Telekom (Werbeslogan „Von Mensch zu Mensch“), um ihren Frust in die Muschel zu brüllen. Europas größter Telekommunikationskonzern steht als Abzocker da – unsozial, teuer, arrogant. „Oh, diese Telekom“, stöhnte der Berliner Kurier, und Deutschland stöhnte mit. Bild starte bundesweit eine Postkartenaktion („Runter mit den Gebühren“), in der sich die Leser nun „mit Empörung“ (Kartentext) an den „sehr geehrten Herrn Dr. Sommer“ wenden sollen.

    Auch Postminister Wolfgang Bötsch (CSU) ließ es sich nicht nehmen, seinen Frust beim Telekom-Chef persönlich loszuwerden: „Verdammt, wissen Ihre Leute denn nicht, daß Neujahr Feiertag ist“, tobte er am Telefon. „Absolut peinlich“, maulte er später, sei das Krisenmanagement der ersten Stunden verlaufen, als die Telekom jeden Defekt dementierte: „Wenn's um Technik geht, glaub' ich euch nichts mehr.“ Auch die Werbung für den neuen Tarif sei mies gelaufen, meinte der Minister: „Das hätte man doch besser rüberbringen müssen“ Ein böser Bötsch: „Ich versteh' das alles nicht.“

    Tollhaus Telekom

    Sommer brach den Ski-Urlaub ab. Ihn ärgert, daß die Medien, die ihn eben noch als „Wunderkind“ (Business Week) hätschelten, nun zum Pannen- Boß verzerren. Dem Postminister gestand er: „Es geht mir nicht sehr gut, Herr Minister.“ Der Chefposten bei der Telekom, das muß Sommer nun erfahren, bietet alles – Ruhm, Risiko und reichlich Rutschgefahr, nur kein Vergnügen. Die Arbeit auf der Nahtstelle von Politik und Wirtschaft ist einer der heißesten Chefposten, den das Land derzeit zu vergeben hat.

    „Das ist kein normales Unternehmen in einem normalen Umfeld“, hatte Aufsichtsratchef Rolf-Dieter Leister den zum Amtsantritt so heiteren Vorstandschef gewarnt – und auf fatale Weise recht behalten. Seit vergangener Woche steht Ron Sommer da, wo er nie hinwollte – im Mittelpunkt einer erregten Debatte um die Zukunft der Telekom. Selbst der Erfolg des geplanten Börsengangs der Telekom, der größten Privatisierungsaktion der deutschen Geschichte, scheint nun in Gefahr. Für Ron Sommer wird 1996 zum Jahr der Entscheidung.

    Den Koloß Telekom, der ab Juli von privaten Konzernen attackiert werden darf, soll er [Ed: Ron Sommer] in die Marktwirtschaft führen. Aber wie? Millionen von Kleinanlegern muß er für die Telekom begeistern. Geht das jetzt noch? Und wie eigentlich soll er 210.000 Beschäftigte, davon jeder zweite ein Beamter, für mehr Kundenservice motivieren?

    Die Kräfte der Beharrung sind groß, die Spielräume im Geflecht einer von Partei- und Gewerkschaftsinteressen durchzusetzten Firma eng. Viele verlangen von ihm das Unmögliche: Sommer soll beides sein – Sanierer und Sozialarbeiter. Hart zupacken soll er, fordern die einen. Aber möglichst mit Samthandschuhen raunen die anderen gleich hinterher.

    Die Postgewerkschaft will bremsen, wozu die EU-Kommission mit ihren Privatisierungsdirektiven den Telekom-Boß antreibt. Die Industrie verlangte nach jener Tarifreform, die den privaten Telefonierer jetzt so erregt. Vor allem auf die Parteien kann sich der Chef der Noch-Staatsfirma nicht mehr verlassen. Die Wirtschaftspolitiker drängen auf eine schlagkräftige Telefonfirma, effizient, schlank und flexibel. Doch kaum wird gestrichen und gespart, stehen die Sozialpolitiker auf der Barrikade.

    Ungereimtheiten dutzendfach, auch in der vergangenen Woche: Die gleichen Politiker, die dem neuen Tarif zugestimmt haben, wollen ihn nun kippen, und zwar subito. Sie fordern einen Sondertarif für die Telefonate mit Freunden und Familienmitgliedern, wissend, daß die nötige Digitaltechnik frühestens zum Jahresende installiert ist.

    Auch innerhalb der Telekom liefern sich die Modernisierer ihre Scharmützel mit den alten Postkämpen. Die haben von der neuen Zeit nicht viel Gutes zu erwarten – also wird nach Kräften gebremst und blockiert. Oben entstehen die großen Strategien, unten tobt die Schacht um jedes Privileg: Tollhaus Telekom.

    Sony-Boy Sommer

    Vor knapp einem Jahr wählte Aufsichtsratschef Leister den Ex-Sony-Mann für die „einmalige Aufgabe“. Aufsteiger Sommer schien ihm der Garant für den Erfolg der heiklen Mission. Mit 21 Jahren promovierte der Sohn ungarisch- russischer Eltern in Wien zum Doktor der Mathematik. Seine Karriere startete er bei Nixdorf, wo er nach Stationen in New York und Paris die Leitung mehrerer Auslandstöchter übernahm.

    Nach nur zwei Jahren wechselte er 1980 zum Elektronikkonzern Sony. Er machte die Japaner zum Marktführer in Deutschland, brachte das Amerika- Geschäft in Schwung und leitete schließlich von Köln aus das Europa- Geschäft.

    Scheitert der Sony-Boy bei der Telekom, wäre nicht nur das Unternehmen in Gefahr. Auch die deutsche Industrie ist auf eine leistungsfähige Telefonfirma angewiesen. „Der Erfolg der Telekom“, glaubt nicht nur Sommer, „bestimmt die Rolle Deutschlands im Informationszeitalter.“

    Der Markt für Telekommunikationsdienste – Telefon, Fax, Online-Service und digitales TV – wird sich nach Berechnungen des Unternehmensberaters McKinsey in der nächsten fünf Jahren auf 100 Milliarden Mark nahezu verdoppeln. Neue Jobs entstehen, die Telekommunikation avanciert zur Schlüsselindustrie des kommenden Jahrhunderts. Ohne die Telekom, derzeit Europas Telefonkonzern Nummer 1, ist die neue Zeit nicht zu haben.

    Seit fast 70 Jahren umgaben spezielle Gesetze, mit denen die Telefonversorgung zur Staatsaufgabe erklärt wurde, die Fernmeldebehörde wie eine Schutzmauer. Der Wind des Wettbewerbs wehte an ihr vorbei, die Klagen der Kunden prallten ab, selbst die Privatisierungsaktionen in anderen Ländern konnten die Mauer nicht unterspülen. Erst spät und auf Druck der Brüsseler EU-Kommission entschieden sich die Deutschen für eine Privatisierung ihres Monopolisten. Nun muß Sommer sich sputen, noch in diesem Jahr soll er den Koloß an der Börse plazieren.

    Ein Tarifmonstrum gezimmert

    Der neue Tarif, der jetzt für republikweite Entrüstung sorgt, sollte der Anfang sein. Die alten Gebühren, ein Diktat der Politik, taugen nicht für den Wettbewerb mit den Großkonzernen. Ortsgespräche waren billig, obwohl der Netzausbau in der Stadt viel teurer ist als die Fernverbindung, auf der sich Hunderte von Gesprächen bündeln lassen. Um die Günstigtarife in Städten und Dörfern zu ermöglichen, wurden Ferngespräche und Auslandsverbindungen bisher künstlich verteuert.

    Im Monopolsystem funktionierte der interne Ausgleich prächtig. Im freien Wettbewerb ist diese Quersubvention zum Scheitern verurteilt. Die Angreifer, das zeigt die Erfahrung im Ausland, attackieren zuerst in Nischen, bieten vom Stand weg marktgerechte Preise – ohne Politikaufschlag.

    Wie schnell sich falsche politische Vorgaben für das Staatsunternehmen rächen, mußten die Japaner erleben. Dort wurde die Telefongesellschaft NTT nach dem Beginn der Privatisierung 1985 gezwungen, die Ortstarife weiter günstig anzubieten. Neue Konkurrenten brachten die Preise auf den Fernstrecken ins Trudeln, der ehemalige Monopolist mußte dramatische Verluste bei den Marktanteilen hinnehmen. NTT geriet geriet in die schwerste Krise der Firmengeschichte.


    Die Angreifer
    bieten vom
    Start weg
    marktgerechte
    Preise

    In Bonn ist allen Kennern der Materie klar, daß die Telekom mit hohen Ferntarifen im Wettbewerb gegen die Energieriesen und ihre Verbündeten chancenlos ist. Die Neulinge im Telefongeschäft, die schon im Juli dieses Jahres starten dürfen, wollen sich auf Firmenkunden konzentrieren – und, na klar, auf Ferngespräche. Der Versuch, Kosten und Preise einigermaßen in Einklang zu bringen, ging trotzdem daneben. Die Telekom-Strategen haben ein Tarifmonstrum gezimmert, das die junge Aktiengesellschaft wenige Monate vor dem Start an der Börse in schwere Turbulenzen bringt.

    Hauptnachteil des Tarifwerks: Es ist nahezu undurchschaubar. Statt der bisher 6 verschiedenen Tarife an Werktagen gibt es nun über 20. Die Kunden erkannten schnell, daß das Werbeversprechen („An Ihrer Telefonrechnung wird sich nichts ändern“) nicht für alle aufgeht. Am Freitag vergangener Woche [5.1.1996] wurde der Slogan wegen irreführender Aussagen sogar gerichtlich verboten.

    Die Grundgebühr wird durch den Wegfall der zehn freien Tarifeinheiten um 2,30 Mark verteuert. Ortsgespräche, die länger als vier Minuten dauern, sind auf jeden Fall teurer als früher – egal, zu welcher Uhrzeit. Nur Auslands- und Ferngespräche sind durchweg billiger. Der Preisaufschlag in der City kann, je nach Dauer des Telefonats, schnell zur Verdopplung des Gesprächspreises führen. Auch eine Steigerung von 160 % ist rechnerisch möglich.

    Alles Theorie, sagt die Telekom. Bei ihren Rechnungen beruft sich das Unternehmen auf interne Messungen und eine Studie des Marktforschungsinstituts Sinus [Ed: das aber die Internet-Telefonate vergessen hat]. In einer Repräsentativuntersuchung, auf der Basis von 2.000 Haushalten, wurden die Telefongewohnheiten der Deutschen analysiert. Danach sind gut 50 % aller privaten Telefongespräche im Ortsbereich kürzer als 90 Sekunden – und damit deutlich billiger als bisher. Nur knapp ein Drittel aller Gespräche dauerte länger als 3 Minuten, sagt die Studie – und sei damit teurer.

    „Bei unverändertem Kommunikationsverhalten“, so das Fazit der Marktforscher, werde „die durchschnittliche Telefonrechnung nach der Tarifreform ein wenig niedriger sein als bisher“. Einkommensschwache Telekom-Kunden können von dem neuen Tarif sogar profitieren. Wer von den Rundfunkgebühren befreit ist, muß künftig auch bei der Telekom nur noch eine reduzierte Grundgebühr bezahlen: 9 Mark statt bisher 17,30 Mark. Blinde, Gehörlose und Sprachbehinderte zahlen seit Januar sogar nur noch 5 Mark pro Monat.


    Der Finanzchef erwartet
    Verluste in Milliardenhöhe

    Nach mehreren Preissenkungen haben sich die Telefonkosten in Deutschland im Laufe der letzten sechs Jahre immerhin um 14 % reduziert. Etwa im gleichen Zeitraum stiegen die Lebenshaltungskosten um 17 %, die Preise für kommunale Dienstleistungen wie Abwasser und Müllabfuhr schossen gar um bis zu 106 % nach oben.

    Die Telekom rechnet nach Einführung des neuen Tarifs mit keinem Geschäft: Die Verteuerung der Ortstarife wiegt die billigen Ferntarife offenbar nicht auf. Für 1996 erwartet Finanzvorstand Joachim Kröske einen Umsatzrückgang um rund 3 Milliarden Mark. Der Gewinn vor Steuern soll von 8,5 Milliarden auf eine Milliarde Mark schrumpfen – und das ausgerechnet im Börsenjahr.

    Der ganz große Push

    Nun muß die Telekom auch noch ihr ramponiertes Image neu polieren. Eine neue Werbekampagne wird fällig. Als Abzockerfirma kann sie bei den Kleinanlegern nicht bestehen, wenn sie im November die ersten Aktien verkaufen will. Rund 15 Milliarden Mark hofft das Unternehmen allein in diesem Jahr bei den Aktienanlegern für die ersten 500 Millionen Aktien einzusammeln. Weitere 15 Milliarden Mark sollen bis Ende des Jahrzehnts durch eine zweite Tranche plaziert werden.

    Der Anteil des Bundes, der bislang noch alleiniger Eigentümer ist, wird sich dadurch bis Ende des Jahrzehnts auf 66,6 % verringern. Erst nach dem Jahr 2000 darf der Finanzminister auch diese Aktien aus dem Staatsbesitz verkaufen. Die Aussicht lockt, mit der Privatisierung der Telekom, deren jetziger Wert auf bis zu 90 Milliarden Mark geschätzt wird, die Löcher im Haushalt zu stopfen. Kanzler Kohl will die Telefonfirma zur „Volksaktie“ machen, ein Erfolg soll es werden wie 1960 die Privatisierung von VW.

    Die Chancen stehen nach dem Desaster der vergangenen Woche nicht gut. Der Börsengang braucht den ganzen großen Push. Im Schnitt beläuft sich der Wert der Aktienemissionen aller Börsenneulinge hierzulande auf 2 bis 3 Milliarden Mark pro Jahr. Selbst in Rekordjahren wie 1995 brachten die Banken gerade einmal für 8 Milliarden Mark neue Aktien an den deutschen Börsen unter. In diesem Jahr soll die Telekom das doppelte Volumen plazieren.

    Die deutschen Börsen sind damit überfordert. Also wird überall verkauft – in Europa, Asien und an der Wall Street. Neben 10 deutschen Banken unter Führung von Deutscher und Dresdner Bank, die etwa 60 % der ersten Tranche unterbringen sollen, wurde auch ein Dutzend ausländischer Bankhäuser, darunter Warburg in London, Goldman Sachs in New York und Daiwa in Tokio, mit dem lukrativen Job betraut.

    Die Erfolgschancen im Ausland sind allerdings begrenzt. In den nächsten Monaten kommen weltweit mehr als ein Dutzend staatlicher Fernmeldegesellschaften an die Börse, und die Großanleger in den USA sind schon jetzt gut eingedeckt mit Telekom-Papieren aller Art. Die Entscheidung fällt deshalb in Deutschland. Damit das Papier für die Masse der Kleinanleger erschwinglich ist, werden die Aktien im Nennwert von 5 Mark ausgegeben. Der Einstandspreis könnte dann bei etwa 30 Mark liegen.

    Ein gigantischer Schuldenberg

    Die Telekom ist dringend auf die Hilfe der Anleger angewiesen. Die Kassenlage ist trist. Der Grund: Jahrelang kassierte der Finanzminister 10 % aller Telekom-Einnahmen, unabhängig vom Gewinn, als eine Art Telefonsteuer. Nebenbei mußte die ertragsreiche Fernmeldeabteilung die Millionen-Verluste bei Briefen und Paketen sowie bei der Postbank ausgleichen. Und dann kam [1989] der Mauerfall.

    Der Aufbau des Telefonnetzes in Ostdeutschland verschlang in den vergangenen Jahren rund 50 Milliarden Mark. In der aktuellen Bilanz steckt ein gigantischer Schuldenberg. Mit 126 Milliarden Mark ist er fast doppelt so hoch wie die jährlichen Einnahmen der Telekom. Allein die Zinsen kosten die Firma jährlich rund 9 Milliarden Mark.

    Das Eigenkapital ist heute auf 16 % der Bilanzsumme abgeschmolzen, bis Ende der Achtziger war eine Eigenkapitalquote von mindestens 33 %, wie sie auch die meisten Telekom-Konkurrenten vorweisen können, als Sollgröße vorgegeben. Nur die spanische Telefonica steht unter den großen Telefonfirmen schlechter da.

    Der Start in die freie Wirtschaft kommt für die Telekom zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Doch Sommer hat keine Wahl mehr – und keine Zeit. Klare Vorgaben der EU-Kommission in Brüssel zwingen die Bundesregierung, den Telefonmarkt vollständig zu liberalisieren. Die Brüsseler Normen sorgen dafür, daß die Telekom in den nächsten Monaten auch die letzten Monopolrechte verliert.

    Monopole fallen

    Schon am 30. Juni dieses Jahres fällt mit dem Netzmonopol eine wichtige Hürde auf dem Weg zum totalen Wettbewerb. Private Telefongesellschaften sind nicht mehr gezwungen, firmeninterne Telefonnetze, sogenannte Corporate Networks, über die teuren Mietleitungen der Telekom aufzubauen. Sie können dann eigene Strippen ziehen.


    In zwei Jahren kann der Run auf die Privatkunden beginnen

    In Frankfurt [am Main] ist schon jetzt ein knallharter Wettbewerb um die Banken mit ihren Millionenetats für Kommunikationsdienste entbrannt. Internationale Datenspediteure wie die Schweizer WorldCom oder die Hamburger Info AG erledigen den Transfer der Bits und Bytes ins Ausland. Mit Discounttarifen für Auslandsgespräche versuchen Rückrufdienste, die sich über eine Codenummer den Zugang zum US-Netz verschaffen, der Telekom Kunden abzujagen. Bei den Gebühren in der Mainmetropole geht es zu „wie auf einem Basar“, sagt Horst Enzelmüller, Geschäftsführer der Telefonfirma Colt. Die Telekom verliert Tag für Tag Marktanteile.

    In zwei Jahren kann der Run auf die Privatkunden losgehen. Dann könnten auch sie Auswahl beim Telefonieren bekommen. Denn zum 1. Januar 1998 muß Telekom-Lenker Sommer die letzte Bastion räumen. Das Monopol beim normalen Telefondienst, mit dem Sommer bislang gut 80 % seiner Einnahmen bestreitet, wird aufgehoben.

    In den nächsten Wochen muß der Bundestag entscheiden, ob Deutschland der liberalste Telekommunikationsmarkt der Welt sein wird. Bringt Postminister Bötsch seine Gesetzespläne durchs Parlament, kann von 1998 an jede Firma, die bestimmte Standards, etwa in der Netzsicherheit und beim Datenschutz erfüllt, ins Telefongeschäft einsteigen.

    Sommer muß sich gleich einer ganzen Phalanx von Konkurrenten erwehren. Vor allem die reichen Energiekonzerne wie RWE, Veba und Viag, die über Rückstellungen von insgesamt 84 Milliarden Mark verfügen, sitzen in den Startlöchern. Die Stromversorger verfügen schon jetzt über eigene Telefonnetze entlang den Hochspannungstrassen. Weltweit schlossen sie Allianzen mit mächtigen Telefonfirmen wie AT&T, BT oder Cable & Wireless. Die Herausforderer wollen dem Ex-Monopolisten 10 % Marktanteil abjagen – jeder. Ihre Chancen stehen nicht schlecht.

    „Schwerwiegende Koordinierungsmängel“

    Die Telekom, jahrzehntelang Alleinanbieter für Telefone und Telefonzubehör, tut sich erkennbar schwer mit der Marktwirtschaft. In dem seit sechs Jahren freien Markt für Endgeräte, von privaten Anbietern mit billigen und teils technisch brillanten Geräten versorgt, trudelt der Ex-Monopolist in die Verlustzone. Und da blieb er bis heute. Bei einem Umsatz von 2,5 Milliarden Mark erwirtschaftete die Telekom beim Verkauf von Telefonen und Faxgeräten zeitweilig ein Minus von 1,3 Milliarden. Ursache des „katstrophalen Betriebsergebnisses“, rügte der Bundesrechnungshof, seien „schwerwiegende Koordinierungsmängel“.

    So warb die Telekom mit Millionen-Beträgen für Geräte, die noch gar nicht zu kaufen waren. Statt dessen verstopfte das nur mäßig gefragte Notrufsystem „Secury“ die regale: „Bei gleichbleibendem Verkauf“, notierten die Rechnungsprüfer spitz, „reichen die Lagerbestände bis zum Juli 2006.“

    Auch beim Boom der Handys kam die Telekom nur schwer in Fahrt, Mannesmann dagegen legte von Anfang an ein furioses Tempo vor, obwohl der Ruhrgebietskonzern für das Telefongeschäft keinerlei Erfahrung besaß. Erst im vergangenen Jahr zog die Telekom mit dem Newcomer gleich. Mit dem Geräteverkauf machen ebenfalls andere das große Geschäft. Der finnische Mischkonzern Nokia, bis vor wenigen Jahren bekannt als Hersteller von Papier und Gummistiefeln, stieg zur Handy-Company auf. Die Telekom zauderte, andere, wie die US-Firma Motorola und Ericsson aus Schweden, nutzten ihre Chance.

    Kunden noch immer Bittsteller

    Selbst mit simplen Serviceleistungen scheint die Telekom zuweilen überfordert. Immer wieder verärgert das Unternehmen seine Kunden. Für viele ist die Telekom nicht erst in der vergangenen Woche zur Haßfirma geworden. Für Verdruß beim Publikum sorgen vor allem die Schwerfälligkeit und das arrogante Verhalten des Staatsbetriebs. Trotz zahlreicher Mitarbeiterschulungen, die Sommer seiner Belegschaft verordnete, werden die Kunden noch immer häufig als lästige Bittsteller behandelt.

    Terminzusagen für die Einrichtung eines neuen Anschlusses sind nach wie vor unverbindlich. 12 bis 14 Tage Wartezeit sind in Westdeutschland immer noch die Regel. Im Osten warten Privatkunden oft sogar viele Monate aufs Telefon. „Da müssen wir noch hart ran“, gibt selbst der Optimist auf dem Chefsessel zu, dem als Ziel eine Wartezeit von 24 Stunden vorschwebt.

    Servicetechniker brauchen immer noch Tage, ehe sie einen Schaden beheben. Kunden, die sich über unerklärlich hohe Rechnungen beklagen, werden rabiat zur Kasse gebeten. Kulanz scheint für die Telekom ein Fremdwort.

    Lange Zeit behauptete die Telekom unbeirrbar, das Telefonnetz sei nicht manipulierbar. Erst vor gut einem Jahr mußte Technikchef Gerd Tenzer kleinlaut den Irrtum eingestehen, Hacker hatten Partyline-Anbietern zu beträchtlichem Mehrumsatz verholfen, indem sie klammheimlich auf Kosten ahnungsloser Telekom-Kunden telefonierten. Die Hacker lachten, die Telekom entschuldigte sich – aber zahlte keine Wiedergutmachung.

    Geradezu bösartig werden die Kunden zuweilen gefoppt. Zum Jahresende 1994 schaltete die Telekom überraschend den Rundfunksatelliten TV-Sat2 ab – und schwieg. Viele Nutzer des digitalen Satellitenradios hatten noch im Vorweihnachtsgeschäft für über 1.000 Mark DSR-Anlagen gekauft, mit denen früher das Programm aus dem All empfangen werden konnte.

    Personalabbau auf 170.000 Stellen

    Dringend benötigt Ron Sommer geschultes Servicepersonal, keine Beamten. Doch die Chancen für Neueinstellungen sind minimal. Mit 210.000 Beschäftigten am Jahresende 1995 ist die Telekom immer noch zu üppig besetzt. Die Produktivität liegt deutlich hinter den Vergleichszahlen der privaten Anbieter im Ausland. Seit Jahren versuchen die Telekom- Lenker die Belegschaft zu reduzieren. Bis zum Ende des Jahrzehnts soll die Mitarbeiterzahl noch mal kräftig schrumpfen – bis auf 170.0000 Stellen.


    Der Gewerkschaftsboß kämpft verbissen um jede Dienststelle

    Der Widerstand gegen den Stellenabbau ist enorm. Und er ist enorm erfolgreich. Gut die Hälfte der Telekom- Mannschaft besteht aus unkündbaren Beamten, die auch nach der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft ihre Privilegien retten konnten. Weitere 17 % der Beschäftigten sind Angestellte im Öffentlichen Dienst mit ähnlichem Kündigungsschutz wie Beamte. Beide Gruppen haben mit der Deutsche Postgewerkschaft eine Vertreteung im Rücken, die sich aufs Streiten und Streiken versteht. Gewerkschaftsboß Kurt van Haaren kämpft verbissen um jede Dienststelle.

    Um den Personalabbau planmäßig in Angriff nehmen zu können, einigte sich Sommer im November vergangenen Jahres mit der Postgewerkschaft auf eine Regelung, von der die Geschaßten aller Ostkombinate nur träumen können: Die Telekom verzichtet bis Ende 1997 auf jede betriebsbedingte Kündigung.

    Wer geht, geht freiwillig. Arbeiter, Angestellte und einfache Beamte ab 55 sowie höhere Beamte ab 60 Jahren können mit 75 % ihres letzten Gehalts in den Vorruhestand abwandern. Jüngere Mitarbeiter erhalten für ihre freiwillige Kündigung einen Scheck in Höhe von bis zu 140.000 Mark. Allein für die 14.500 Mitarbeiter, die 1995 den Staatsbetrieb verließen, mußte die Telekom 400 Millionen Mark zahlen. Trotz schrumpfender Belegschaft werden die Personalkosten, die derzeit rund 30 % der Einnahmen verschlingen, weiter steigen. Schuld sind die hohen Pensionslasten.

    Die Stimmung ist mies

    Die Stimmung innerhalb der Telekom ist mies. Von Aufbruch keine Spur – erst recht nicht seit dem Totalangriff der vergangenen Woche. Viele wünschen sich die Zeit zurück, als die Telekom noch Post hieß. Sommer hat kaum Möglichkeiten, die Schwerfälligen auf Trab zu bringen. Auf Zuckerbrot und Peitsche, die Lieblingswerkzeuge aller Manager, kann er nicht zurückgreifen. Für üppige Sonderzahlungen fehlt das Geld, für Strafexpeditionen im Mittelbau der Firma die nötige Macht.

    Auch die Politiker, die in einigen Jahren die Staatsfirma mit Gewinn verkaufen wollen, bekommt der neue Telefonboß nur schwer in den Griff. Allein gelassen fühlt er sich, ausgerechnet in der turbulentesten Woche seiner Amtszeit. Plötzlich wurde er zum Watschenmann für alle. „Der Herr Vorstandsvorsitzende sollte vorsichtig sein“, warnte Bayerns Staatskanzleichef Kurt Faltlhauser am vergangenen Freitag: „Er kann sich nicht aufführen wie der Manager eines beliebigen Unternehmens.“

    Solche Drohungen fördern nicht gerade die Investitionsbereitschaft der Anleger. Die Stimmung für ein großes Börsenspektakel ist fürs erst versaut. Vor Sommer liegt die schwierigste Etappe seines Berufslebens. Der Bösengang – diktiert durch die Brüsseler Vorgaben – ist unaufschiebbar. Frust kann sich Sommer gar nicht leisten. „Er soll dem Unternehmen mit Freude ein erfolgreiches und sympathisches Bild geben“, hatte sich Aufsichtsratschef Leister zur Amtseinführung gewünscht. Doch Sommer will nicht mehr freundlich sein.

    Mit „unsinnigen, populistischen Interviews“ werde gezielt Stimmung gegen die Telekom gemacht. „Das finde ich ungeheuerlich“, schimpft er im SPIEGEL-Gespräch. Nicht mal der sonst so wortlaute Finanzminister sei ihm zur Seite gesprungen. Sommer ist sauer: „Der müßte mir doch jeden Tag den Puls fühlen.“



    „Wir erleben gerade eine Revolution“

    Telekom-Chef Ron Sommer über Tarif-Chaos und Börsengang

    Aus:
    Der Spiegel – 2/1996, 8. Januar 1996, Seite 31–34 (SPIEGEL-Gespräch). Das Gespräch führten die Redakteure ELISABETH NIEJAHR und HANS-JÜRGEN SCHLAMP.

    SPIEGEL: Herr Sommer, der Erfolg der Telekom bestimme die Rolle Deutschlands im Informationszeitalter, behaupten Sie immer wieder. Warum ist ihre High-Tech-Firma dann nicht einmal imstande, die eigenen Computer auf das eigene Gebührensystem umzustellen?

    Sommer: Ich bleibe dabei: Die Telekommunikation ist die Grundlage für den Wirtschaftsstandort Deutschland im Informationszeitalter. Im Zentrum der Telekommunikation steht dieses Unternehmen, das in diesem Jahr an die Börse geht und sich künftig im Wettbewerb behaupten muß und will. Insofern werden 1996 die Weichen für Deutschlands Zukunft in der Informationsgesellschaft gestellt.

    SPIEGEL: Aber gleich die erste Weiche wurde in der Neujahrsnacht falsch gestellt.

    Sommer: Die Tarifumstellung zum 1. Januar war ungeheuer komplex und aufwendig. Hier ist eine Panne passiert, die wir alle lieber vermieden hätten.

    SPIEGEL: Was genau ist passiert?

    Sommer: Wir haben die Software für die Berechnung der neuen Gebühren von zwei Lieferanten bezogen. Die von Siemens hat einwandfrei funktioniert, die von Alcatel SEL hat am 1. Januar nicht auf den preiswerteren Feiertagstarif umgestellt.

    SPIEGEL: Hat sich von Ihren über 200.000 Leuten vorher keiner die Programme angesehen?

    Sommer: Doch, natürlich. Aber in jeder Software können Fehler stecken, manche kann man gar nicht im Probelauf entdecken. Das tut uns furchtbar leid, das tut uns furchtbar weh. Wir werden alles tun, um besser zu werden.

    SPIEGEL: Wie viele Kunden haben Ihre Hochleistungsrechner denn zu Neujahr mit überhöhten Gebühren belastet?

    Sommer: Das könnten, unter maximalen Annahmen, etwas über 10 Millionen sein.

    SPIEGEL: Und wie hoch ist der Schaden?

    Sommer: Rein rechnerisch dürften es 10 bis 20 Millionen Mark sein. Aber der Schaden für das Unternehmen ist in Wahrheit viel höher, das ist doch das Verrückte an der Geschichte. Von den Folgekosten, dem Imageschaden, mag ich gar nicht reden.

    SPIEGEL: Die teuerste Telefonnacht seit der Erfindung des Telefons?


    Telefon-Wut:
    Runter mit
    den Gebühren!

    BILD – 4.1.1996

    Sommer: Das war sicherlich unsere teuerste Nacht. Vor allem, weil einige Politiker diese Panne dazu nutzten, jetzt gegen unsere Tarifreform anzugehen, obwohl sie diese selbst mit beschlossen haben. Das finde ich ungeheuerlich. Von denen, die sich unreflektiert zu Wort melden, denkt doch keiner darüber nach, welchen Schaden er dem Standort Deutschland zufügt.

    SPIEGEL: Wie wollen Sie den Schaden wiedergutmachen?

    Sommer: Das ist bei den Einzelverrechnungskunden und denen mit einem ISDN- Anschluß simpel, die kriegen ohnehin eine korrekte Rechnung. Den anderen der von der Panne betroffenen Kunden werden wir pauschal 30 Freieinheiten gutschreiben, das entspricht fast dem Doppelten des tatsächlichen Gesprächsaufkommen dieser Kunden am Neujahrstag.

    SPIEGEL: Ob die Kunden Ihnen das glauben?

    Sommer: Diese Lösung ist sehr großzügig.

    SPIEGEL: Reicht das, um Ihr ramponiertes Image aufzupolieren?

    Sommer: Wohl nicht – dafür waren die Angriffe durch die Medien und die Politik in den letzten Tagen zu massiv. Deshalb werden alle unsere Kunden am Sonntag, den 25. Februar, von 0 bis 24 Uhr zum günstigen Mondscheintarif telefonieren können. Davon werden insbesondere die Privatkunden profitieren.

    SPIEGEL: Statt einer netten Geste fordern Ihre Kunden ein überschaubares und gerechtes Tarifkonzept.

    Sommer: Das haben wir jetzt. Wir haben in der Vergangenheit beim Telefon politische Preise gehabt wie früher beim Brot. Die langen Ortsgespräche wurden durch die Ferngespräche, durch die Auslandsgespräche und durch die kurzen Ortsgespräche subventioniert. Das kann man im Monopol machen. Aber wir bereiten uns auf den weltweiten Wettbewerb vor. Den bestehen wir nur, wenn wir bei den Fern- und Auslandsgesprächen wettbewerbsfähig sind, dann müssen die Preise dort sinken. Auch die Politik hat das eingesehen und der jetzt in Kraft getretenen Tarifreform schon im Jahre 1994 zugestimmt. Es werden aber nur die langen Ortsgespräche teurer [Ed: und damit auch die Calls zu Internet- Providern], nicht die kurzen. Und in der Rechnung – und darauf kommt es letztendlich an – kommt unter dem Strich bei den meisten Kunden plus minus null raus.

    SPIEGEL: Das glaubt außerhalb Ihrer Konzernzentrale kein Mensch.

    Sommer: Wir können mit klaren Messungen belegen, daß die Rechnung für den Durchschnittskunden nicht teurer wird. Zwei Drittel seines Rechnungsbetrages, nicht seiner Gespräche, betreffen nämlich Ferngespräche. Und mehr als die Hälfte aller Ortsgespräche sind kürzer als 90 Sekunden, und die werden um die Hälfte billiger.

    SPIEGEL: Wissen Sie, was teurer ist, 5 Minuten von Köln nach Osnabrück zu telefonieren oder 3 Minuten von Köln nach Mailand?

    Sommer: Die meisten unserer Kunden wußten 1995 genausowenig, was sie das einzelne Telefonat kostet. Wer weiß denn schon auswendig, was alle Produkte in einem Supermarkt kosten?

    SPIEGEL: Da gibt es Preisschilder.

    Sommer: Die haben wir auch: Für die neuen, wie wir finden, übersichtlichen Tarifbücher haben wir rund 100 Millionen Mark ausgegeben. Aber die Einzelpreise sind gar nicht entscheidend, sondern das Gesamtergebnis. Und in der Vergangenheit war es einfach ungerecht, daß derjenige, der kurze Ferngespräche führte, teures Geld dafür bezahlen mußte, um die langen Ortsgespräche billig zu halten.

    SPIEGEL: Müssen gerechtere Tarife automatisch kompliziert sein?

    Sommer: Es wird noch viel komplexer werden, wenn demnächst unsere Wettbewerber auch den Privatkunden etwas anbieten. Das hat der Wettbewerb an sich, daß die Preise stärker differenziert werden.

    SPIEGEL: Und unsozialer?

    Sommer: Ich kenne kein Unternehmen in der Welt, das 1,5 Millionen von 40 Millionen Kunden Sozialtarife anbietet.

    SPIEGEL: Das wollen Sie doch lieber heute als morgen ändern.

    Sommer: Ganz und gar nicht. Das gehört zu unseren Stärken. Wir sind ja auch, ganz bewußt, das Unternehmen, das mit die meisten Schwerbehinderten in Deutschland beschäftigt. Wir sind ein außerordentlich sozialer Betrieb, auch wenn uns Herr Stoiber vorhält, wir wären unsozial [Ed: aber wg. der hohen Ortstarife].

    SPIEGEL: Was will Ihre Telekom eigentlich sein: eine effiziente Aktiengesellschaft, die sich knallhart im Wettbewerb gegen multinationale Konkurrenten durchsetzt, oder ein Unternehmen mit gesellschaftlichem Infrastrukturauftrag?

    Sommer: Ich bin schon der Meinung, daß ein Unternehmen mit so vielen Kundenschichten sehr spezifisch vorgehen muß. Das heißt, wir müssen den großen, internationalen Kunden Rabatte einräumen, sonst verlieren wir sie an die Konkurrenten. Und wir müssen uns überlegen, wie wir das Telefon auch sozial Schwachen zugänglich machen.

    SPIEGEL: Wecken Sie mit solchen Sowohl-als-auch- Bekenntnissen nicht erst die Ansprüche der Politik, über die sie dann klagen?

    Sommer: Dieses Sowohl-als-auch hat mit unserer Geschichte zu tun. Viele nennen uns immer noch die Post. Wir sind nicht die Bundesbehörde Post, wir sind die Aktiengesellschaft Deutsche Telekom. Was das bedeutet, ist den meisten Bürgern und Politikern aber noch nicht klar.

    SPIEGEL: Das Alte gibt es nicht mehr, aber das Neue...

    Sommer: ...sehen sie noch nicht. Dabei erleben wir gerade eine Revolution. In weniger als 2 Jahren werden wir in Deutschland im weltweit brutalsten Konkurrenzkampf stehen. Wir haben es dabei mit mächtigen Blöcken zu tun, RWE und Viag, verbündet mit British Telecom, zum Beispiel. Die Veba tut sich anscheinend mit der Bahn zusammen, der US-Kommunikationsgigant AT&T mit Mannesmann. Und die Regierung ist eher auf der Seite unserer Konkurrenten, nach dem Motto: Die Telekom muß gefesselt werden, damit die armen kleinen Wettbewerber überhaupt eine Chance haben, sich zu entwicklen.

    SPIEGEL: Klingt da Angst durch, auf Dauer zu bestehen?

    Sommer: Nein. Wir sind nicht nur gemessen an Umsatz und Kundenzahl die größte Telefongesellschaft Europas, die zweit- oder drittgrößte der Welt – wir sind auch sehr leistungsfähig.

    SPIEGEL: Aber kaum ein Konkurrent hat so wenig Eigenkapital.

    Sommer: Wir haben viel zu wenig, keine Frage. Es gibt noch einiges, wo wir besser werden müssen. Wir haben noch immer zuviel Personal, zum Beispiel. Und es gibt äußere Risiken, die die Zukunft der Telekom gefährden könnten.

    SPIEGEL: Was meinen Sie?

    Sommer: Die Forderung mancher Kommunalpolitiker, zum Beispiel, Wegezölle auf unsere Netze zu erheben. Wenn sich so etwas Verrücktes durchsetzt, dann gibt es keinen Börsengang.

    SPIEGEL: Sie haben vergessen, den in manchen Bereichen großen technischen Rückstand bei Telekom als Handicap zu erwähnen.


    „Wir müssen in
    Sachen Kunden-
    freundlichkeit noch Massives tun.“

    Ron Sommer – 1996

    Sommer: Das sehe ich ganz anders. Richtig ist, wir beschleunigen die Investitionen in die neue Digital- Technik, um dort auf den neuesten Stand zu kommen. In anderen Bereichen sind wir schon jetzt Weltmarktführer. Wir haben zum Beispiel mehr ISDN- Anschlüsse, mit denen man zugleich telefonieren, faxen und Daten verschicken kann, als alle anderen Länder. Wir haben im letzten Jahr große Fortschritte bei der globalen Partnerschaft erzielt. Wir sind mit unserem T-Online- Geschäft, wo wir bislang Landesmeister waren, mit dem Verbund T-Online, America Online, Bertelsmann und Springer plötzlich in der Weltliga.

    SPIEGEL: Davon hat der normale, private Telefonkunde gar nichts. Der ärgert sich wie eh und je.

    Sommer: Richtig ist, wir müssen in Sachen Kundenfreundlichkeit noch Massives tun. Aber das Wort „Danke“ fällt heute bei der Deutschen Telekom schon häufiger als vor 12 Monaten.

    SPIEGEL: Es ist ja nicht nur der Staatsmonopolist-Ton, es sind auch die Produkte, die den Kunden nerven. Was ändert sich durch den Wettbewerb für den Privatkunden?

    Sommer: Zum Beispiel bieten wir ihm dieses Jahr ein völlig neues Produkt an: Den Anrufbeantworter im Netz [Ed: die Telefon- Mailbox], ohne Apparat, ohne Kabel. Und spätestens 1997 sind die Voraussetzungen für die Einführung des „friends and family“- Angebotes geschaffen. Das ist ein Angebot an die Kunden, uns eine Anzahl von Teilnehmern zu nennen, mit denen sie besonders häufig telefonieren. Das kann die Oma, der Neffe oder auch ein Online- Dienst sein. Für diese Gespräche bekommen sie dann einen besonders günstigen „friends and family“- Tarif. Das funktioniert aber nur mit Digital- Technik, und so können wir es in Deutschland nur Schritt für Schritt da einführen, wo das Netz schon digitalisiert ist.

    SPIEGEL: Vom Herbst an, wenn die Telekom- Aktien verkauft werden, wird Ihr Erfolg oder Mißerfolg an den Kursen abzulesen sein. Manche fürchten, daß der Börsengang ein Flop wird.

    Sommer: Der Börsengang der Telekom hat enorme Bedeutung für dieses Land. Das gewaltige Volumen – Experten schätzen allein die erste Tranche auf bis zu 15 Milliarden Mark – schafft das Potential, den Finanzplatz Deutschland in Richtung Aktienmarkt zu verändern. In England, zum Beispiel, besaßen vor der Privatisierung der British Telecom nur etwa 5 % der Bürger Aktien, heute sind es 24 %.

    SPIEGEL: Die Telekom-Anteile als neue Volksaktie?

    Sommer: Warum nicht? Das Potential ist da. Aber es gibt auch Risiken, keine Frage. Vieles, was über den Erfolg der Telekom an der Börse entscheidet, liegt in unserer Hand. Aber leider wird dieser Börsengang auch massiv beeinflußt durch politische Vorgaben und Stimmungen. Und das macht mir große Sorgen, vor allem weil in 10 Jahren niemand mehr danach fragt, wer die Entscheidungen getroffen hat.

    SPIEGEL: Das klingt sehr selbstbewußt, demonstriert Führungsanspruch. Dabei wird Ihnen von Kritikern zuviel Nachsicht, Kompromißbereitschaft, manchmal auch Schwäche vorgehalten.

    Sommer: Als ich diese Aufgabe angetreten habe, war mir klar, daß viele Leute versuchen werden, mich auch persönlich anzuschießen. Ich kann damit leben, ich bin nicht dünnhäutig, und ich weiß, was wir leisten, was ich persönlich hier leiste.

    SPIEGEL: Sie kriegen doppelt soviel Gehalt wie Ihr Vorgänger Helmut Ricke, ungefähr 1, 2 Millionen Mark im Jahr. Sind Sie das wert?

    Sommer: Ich werde Ihnen nicht verraten, wieviel ich bekomme. Mir wäre es lieber, statt des Gehaltes, am Unternehmenserfolg beteiligt zu sein. Mit einem solchen System, wie es in den USA praktiziert wird, können bedeutende Vermögen entstehen. Dafür wird dort, in den USA, applaudiert. Hier in Deutschland würde man nur beneidet.

    SPIEGEL: Herr Sommer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.



    Telekom: Süssmuth will einlenken

    Aus:
    Der Spiegel – 7/1996, 12. Februar 1996, Seite 90 (Trends).

    Mit einer großangelegten Aktion kämpft die Deutsche Postgewerkschaft gegen die "ungeheure Instinktlosigkeit" des Bundestages, seinen innerdeutschen Telefonverkehr nicht mehr über die Telekom abzuwickeln. Der Auftrag an die US-Telefongesellschaft WorldCom "killt deutsche Arbeitsplätze", schreibt Gewerkschaftschef Willi Russ in Briefen an die 672 Abgeordneten. Um die Parlamentarier zur Rücknahme der Entscheidung zu bringen, will die Gewerkschaft demnächst sämtliche Faxgeräte des Bundestages mit einer Flut von Protestfaxen blockieren.

    Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth versucht einzulenken. Bei einem Gespräch mit Telekom-Chef Ron Sommer stellte sie am Mittwoch vergangener Woche eine Kündigung des WorldCom-Auftrags in Aussicht. Doch schon drohen neue Großkunden abzuspringen, unter anderem verhandelt das Wirtschaftsministerium in Bonn über die Vergabe seines Telefonverkehrs an die US-Firma. [Ed: Sehr sehr merkwürdig, hatte sich doch Wirtschaftsminister Rexrodt (FDP) noch Anfang Januar für die Tariferhöhungen der Telekom ausgesprochen] [Ed-21.9.1997: und 1997 hatte er dann diese Meinung wieder geändert].



    Telekom: Allianz mit Spielberg

    Aus:
    Der Spiegel – 8/1996, 19. Februar 1996, Seite 92 (Trends).

    Die Telekom plant eine Allianz mit dem amerikanischen Filmproduktionsstudio des Regisseurs Steven Spielberg. Telekom-Chef Ron Sommer, der bereits enge Gespräche mit Dreamworks führt, will so Multimedia- Anwendungen fördern, etwa bei Filmen auf Abruf, Pay-per-view und Computeranimation. Möglicherweise übernimmt die Telekom sogar Anteile. Auf jeden Fall aber will Sommer seinem Partner beim Aufbau eines Entwicklungszentrums in Deutschland helfen.

    Mit dem Software-Unternehmen Bill Gates [Ed: Microsoft, das jetzt endgültig die Hoffnung begraben hat, mit ihrem Microsoft Network (MSN) eine Konkurrenz zum Internet und den Online-Diensten aufzubauen, zudem hatte Microsoft die zukunftsträchtige Java-Technik verschlafen] hat die Telekom bereits eine lose Kooperation geschlossen. Der neue Deal dürfte die Börsianer an der Wall Street beeinflussen, die beim geplanten Börsengang der Telekom Aktien zeichnen sollen [Ed: Aha, deshalb auch die pompöse mit viel Pathos versehene Großanzeige im Wall-Street Journal am 12.2.1996]. "Jeder spricht im Augenblick mit jedem", sagt Telekom-Sprecher Jürgen Kindervater. Auf keinen Fall aber dürfe die Telekom zum "Inhalteanbieter" werden.



    Telekom: Spartarife ab Ende 1996

    Aus:
    Der Spiegel – 9/1996, 26. Februar 1996, Seite 108 (Trends).

    Mit speziellen Spartarifen für Privatkunden will Telekom-Chef Ron Sommer die nicht endende Kritik an der jüngsten Gebührenreform mildern. Beim neuen Tarif "City Plus", den der Vorstand an diesem Montag [Ed: 26.1.1996] beschließen will, soll der Kunde mit fünf im voraus benannten Nummern im Ortsbereich zehn Stunden pro Monat für nur 24 Mark telefonieren können. Gegenüber dem Normaltarif entspricht das einer Ermäßigung von 50 Prozent [Ed: Eine erste Analyse finden Sie hier] [Ed-21.9.1997: und den späteren Ärger damit finden Sie hier].

    Mit einem Weekend-Extra-Tarif, der mit monatlich fünf Mark berechnet wird, können Telekom-Kunden künftig an jedem Wochenende rund um die Uhr im gesamten Citybereich zum sogenannten Mondscheintarif (1,80 Mark pro Stunde) telefonieren [Ed: Eine erste Analyse finden Sie hier]. Ob die Rabatte vom Aufsichtsrat und den staatlichen Gremien genehmigt werden, ist allerdings fraglich. Die Vergünstigungen sollen nämlich erst ab Ende 1996 gelten und dann auch nur in den digitalen Ortsnetzen; die bundesweite Einführung wird sich sogar bis Ende 1997 hinziehen.

    Neuer Ärger droht der Telekom auch bei den geplanten Vergünstigungen für Großkunden. Die EU-Kommission bereitet sich darauf vor, den Tarif per Anordnungsverfahren zu stoppen, sollte Postminister Bötsch die Vergünstigungen von bis zu 40 Prozent genehmigen.



    Telekom: Verwirrendes Angebot

    Aus:
    Der Spiegel – 10/1996, 4. März 1996, Seite 21 (Panorama).

    Die Telekom hat vergangene Woche angekündigt, die Preise für bestimmte Ortsgespräche möglichst noch in diesem Jahr zu senken. Wer die Angebote "City Plus" oder "City Weekend" annimmt, sollte vorher genau rechnen.

    [ Grafik: "Ab welcher Nutzung rechnen sich "City Plus" und "City Weekend"? ]

    "City Plus" kostet monatlich 24 Mark. Dafür darf der Kunde fünf Nummern im Citybereich bestimmen, bei denen die Gebühren an Werktagen zwischen 9 und 18 Uhr um die Hälfte sinken – allerdings begrenzt auf maximal zehn Gesprächsstunden. Damit es sich rechnet, muß man monatlich mindestens 5 Stunden und 9 Minuten telefonieren [Ed: Rechnet man genauer, dann ergeben sich 5 Stunden + 55 Minuten, rund 6 Stunden]. Zwischen 18 und 21 Uhr lohnt das Angebot kaum noch – erst nach 8 Stunden und 35 Minuten wird der Sondertarif günstiger [Ed: Rechnet man genauer, dann stellt man fest, daß sich hier der Sondertarif nicht lohnt].

    Das "City Weekend" kostet fünf Mark monatlich plus einmalig neun Mark. Dafür darf der Kunde an Wochenenden und Feiertagen rund um die Uhr im Citybereich zum Mondscheintarif telefonieren. Das lohnt erst, wenn jeden Monat mehr als eine Stunde und 44 Minuten lang Ortsgespräche geführt werden. Sollen auch die neun Mark innerhalb eines Jahres wieder erwirtschaftet werden, erhöht sich die monatliche Mindestgesprächsdauer auf knapp zwei Stunden [Ed: Rechnet man richtig, dann ergeben sich 5 Stunden + 49 Minuten, praktisch auch rund 6 Stunden].



    Telekom: »Sternstunde für die Börse«

    Auszug aus:
    Der Spiegel – 14/1996, 1. April 1996, Seite 114–118 (Wirtschaft). [Original]

    Eine beispielslose Werbekampagne soll dafür sorgen, daß möglichst viele Deutsche die neuen Aktien der Telekom kaufen. Die Vorzeichen für die Börseneinführung sind widersprüchlich: Einserseits hat die Telefonfirma reichlich Schulden und ist wenig beliebt, andererseits gilt die Telekommunikation als Wachstumsmarkt der Zukunft.

    (...) Im November sollen die Aktien der Bonner Telekom erstmals gehandelt werden. Mindestens 15 Milliarden Mark möchte Finanzchef Kröske im November allein mit dem Verkauf der ersten 500 Millionen Telekom-Aktien im Nennwert von jeweils fünf Mark bei den Anlegern einsammeln. (...)   [mehr zur T-Aktie]




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    © 1993-2001 – Dipl.-Ing. Karl-Heinz Dittberner (khd) – Berlin   —   Last Update: 20.12.2009 12.34 Uhr